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Einführung

Die Entwicklung des Menschen in den ersten 20 bis 21 Lebensjahren ist eines der vielen Themen, über die Rudolf Steiner (1861-1925) seit 1903 bis zu seinem Tod immer wieder geschrieben und gesprochen hat. Dabei entwickelte er grundlegende anthropologische ("menschenkundliche") Gesichtspunkte, die den Menschen nicht nur als biologisches und psychologisches, sondern auch als geistiges Wesen betrachten. Für die Entwicklung des Kindes und Jugendlichen kommen demnach nicht nur die Vererbung und die Einflüsse der Umwelt in Betracht, sondern als dritter Faktor das geistige Wesen der sich reinkarnierenden Individualität. 

Rudolf Steiner hatte von Anfang an im Blick, dass diese ganzheitliche und vertiefte Anthropologie die Grundlage für eine wirklich förderliche Erziehung und Bildung sein kann und sollte. »Wie erzogen werden soll, kann man erst wissen, wenn man weiß, wie der Mensch eigentlich ist.« 

1904 stellte Steiner seine Lehre von den vier "Wesensgliedern" des Menschen, dem materiellen Körper ("physischer Leib"), der biologischen Lebenskräfteorganisation ("ätherischer Leib"), dem psychologischen Seelenwesen ("astralischer Leib") und dem selbstaktiven, geistigen Ich-Wesen erstmals schriftlich dar. Ebenfalls ab 1904 begann er mit der Darstellung einer Entwicklungsanthropologie, die beschreibt, wie sich diese vier Glieder in der Kindheit und Jugend schrittweise entwickeln bzw. ausreifen. Die hauptsächlichste Reifungszeit des physischen Leibes liegt in den ersten sieben Lebensjahren vor dem Zahnwechsel, diejenige des ätherischen Leibes in der Zeit bis zur Geschlechtsreife, diejenige des astralischen Leibes von 14 bis zur Reife mit Anfang 20. Im weiteren Leben bilden die drei ausgebildeten "Leiber" dann die Grundlage für die Entwicklung der Seele und der geistigen Individualität. 

Daraus ergibt sich auch unmittelbar das Ziel einer menschenförderlichen Pädagogik: Dafür zu sorgen, dass sich die drei Wesensglieder in Kindheit und Jugend so vollständig und gesund wie möglich entwickeln können, damit der Mensch in seinem weiteren Leben möglichst viel Kraft aus ihnen ziehen kann bzw. möglichst wenig Widerstand für seine individuellen Intentionen an ihnen findet. Denn es macht einen großen Unterschied für den Verlauf einer Biographie, ob ein Mensch gesünder oder kränklicher ist, ob er seelisch weltoffen oder verschlossen ist, ob er stärkere oder schwächere Willenskräfte entwickeln kann, aber auch, ob er ein gutes Gedächtnis, eine rege Phantasie, ein reiches Innenleben und eine selbstständige Urteilskraft hat oder eben nicht.

Steiner hat seine Entwicklungslehre dann immer weiter ausgebildet, differenziert und vertieft. So ergab sich eine wahrhaft komplexe Anschauung des sich entwickelnden Menschen, die nur durch gründliches Studium nach und nach erschlossen werden kann. 

Rudolf Steiners schriftliches Werk umfasst knapp 50 Bände mit Schriften und Aufsätzen sowie über 250 Bände mit mehr als 6.000 stenographisch festgehaltenen Vorträgen. Zur Entwicklungsanthropologie und Pädagogik - die nur einen kleinen Teil des Gesamtwerks ausmachen - liegen von Steiner nur wenige schriftliche Ausführungen vor. Der weit überwiegende Teil der entsprechenden Darstellungen findet sich in unsystematischer Weise über das gesamte Vortragswerk verteilt. Die Tatsache, dass dieses Vortragswerk seit etlichen Jahren in elektronischer Form vorliegt, ermöglicht systematische Suchen nach beliebigen Inhalten. 

Um die Darstellungen Steiners zur Entwicklungsanthropologie möglichst umfassend zu erschließen, haben wir ausführliche Recherchen mit vielen unterschiedlichen Suchbegriffen im Werk durchgeführt, die gefundenen Zitate gesammelt, ausgewertet, sortiert und nach Themenbereichen zusammengefasst. Die Ergebnisse präsentieren wir hier. Sie sollen demjenigen, der sich vertieft mit der anthroposophischen Entwicklungsanthropologie beschäftigen möchte, das Material dazu an die Hand geben. Man kann davon ausgehen, dass man hier annähernd alle Aussagen Steiners zu den genannten Themenbereichen finden kann. 

Wir haben versucht, Zusammenhänge zwischen den Zitaten graphisch durch so genannte Mindmaps sichtbar zu machen. Dennoch erschließen sich diese Zusammenhänge nur durch selbstständiges Verarbeiten der verschiedenen Zitate. Eine umfassende Monographie zu Rudolf Steiners Darstellungen zur Entwicklung des Kindes ist in Arbeit. 

Ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen herzlich danken, die in diesem umfassenden Projekt über viele Jahre geholfen haben. Es waren vor allem Studierende der Freien Hochschule Stuttgart. Ein besondere Dank gebührt Susana Ulrich Alvarez-Ulloa, die die künstlerisch gestalteten Übersichten mit viel Geduld und Liebe zur Sache erstellt hat. 

Christoph Hueck 

P.S. Unsere Datenbank kann genutzt werden, um andere Themenfelder aus Steiners Werk aufzuarbeiten. Sollten Sie Interesse daran haben, dann wenden Sie sich an uns.